Interview im VORWÄRTS
tai. Vom 2. bis 10. Juni findet in Zürich ein queeres Festival statt, das sich explizit als Alternative zur kommerziellen, entpolitisierten Pride versteht. Ein Gespräch mit Mika und Andrew, die das Festival mitorganisieren.
Vom 2. bis 10. Juni findet das Festival «The Queer Thing» in Zürich statt. Worum geht es dabei?
Andrew: Das Festival verstehen wir als eine Art Reclaim. Wir wollen besonders den 10. Juni von den kommerziellen, polizeifreundlichen und homonormativen Pride-Veranstaltungen wieder zurückerobern. Auch fühlen sich viele nicht repräsentiert von solch einer «Pride». Wir möchten mit diesem Festival «back to the roots», wir wollen die Geschichte des Christopher Street Day (CSD) wieder ins Bewusstsein rufen, woher dieser Tag kommt, was für Personen den CSD mitinitiiert haben: Dort haben schwarze und «People of Color»-Transmenschen revoltiert, das war wirklich ein Aufstand gegen die Polizei und den Staat, gegen die Schwulen-, Lesben- und Transverfolgung.
Mika: Gleichzeitig ist es sicher auch eine Gelegenheit, um wachzurütteln: Heute läuft die Polizei genauso im offiziellen Umzug mit wie Parteien, religiöse Gruppen und Grosskonzerne. Grosskonzerne und Firmen sind mit Werbeflächen, Ständen und eigenen Umzugswagen prominent am Pride Festival vertreten. Kapitalistische Unternehmen können sich so als tolerant und fortschrittlich inszenieren. Die LGBT+-Community, allen voran gut verdienende, schwule, weisse Cis-Männer, sind kaufkräftige potenzielle KundInnen und attraktives Humankapital. Die politische Ermächtigung von LGBT+-Menschen gehört nur soweit zur Agenda kapitalistisch funktionierender Unternehmen, wie sie den Kapitalinteressen dienlich sind. Oberstes Gebot bleibt stets der Profit. Die Präsenz von Kommerz und Business steht in direkter Konkurrenz zu politischen Inhalten und hat eine Disziplinierungsfunktion. So muss stets auf die Interessen dieser SponsorInnen Rücksicht genommen werden – zur Erinnerung: 2017 sind das UBS und CS.
Was sind eure persönlichen Erfahrungen mit der Pride?
Andrew: Ich bin ursprünglich aus Berlin und dort gibt es bereits eine Alternativveranstaltung zur kommerziellen Pride. Dort habe ich mich immer wohler gefühlt, weil Kritik im Mittelpunkt steht. Der Kampf, den wir queere Menschen noch führen müssen, ist viel zu gross, als dass wir das Politische total umgehen können. Die Zürcher Pride hat dieses Jahr zwar das Thema «LGBT Refugees» aufgegriffen, aber meiner Meinung nach nutzen die OrganisatorInnen geflüchtete Menschen als Charity und benennen die Ursachen nicht. Was ändert sich an den prekären Lebensumständen und der Aufrechterhaltung der Festung Europas, wenn vorwiegend weisse, schwule Männer unter dem UBS- und CS-Logo feiern?
Mika: Ich kenne den sogenannten transgenialen CSD auch aus Berlin. Ich war mehrmals dabei und habe mich dort viel wohler gefühlt, da gab es keine Werbung und Labels, keine prominente Firmennamen. Das Problem für mich in Zürich ist, dass es unglaublich entpolitisiert wurde. Nur schon der Wechsel des Namens von Christopher Street Day zu Pride hat extrem wehgetan. Für den Grossteil der teilnehmenden Menschen ist diese Veranstaltung zu einer zweiten Streetparade geworden. Man fordert irgendetwas Pro-Homo-Mässiges, man will die gleichen Rechte, aber Strukturen infrage stellen, Kritik am System nennen, das fehlt dort. Warum sollen wir die Ehe für alle fordern, wenn wir eigentlich für eine Abschaffung der Ehe für alle sind? Wir streben nicht danach, unsere Abende im Fitness-Studio zu verbringen, Karriere zu machen und nach überteuerten Partynächten ein Abklatsch heterosexueller Biederkeit zu werden. Es fühlt sich falsch an, mit irgendwelchen weissen, schwulen SVP-Männern oder mit profitgeilen Unternehmen an einer politischen Demonstration teilzunehmen. In Anbetracht der Geschichte des CSD ist es sowieso seltsam, dass die Polizei mitläuft.
Andrew: Ich habe als nicht-weisse Person schon viele unangenehme Erfahrungen mit der Polizei gemacht, Racial Profiling sage ich da einfach nur dazu. Mit PolizistInnen habe ich auch schon homophobe Situationen erlebt. Geflüchtete fühlen sich da wahrscheinlich ebenfalls nicht wohl, wenn die Polizei mitläuft. So gesehen finde ich das daneben.
Wie ist eure Gruppe entstanden?
Andrew: Das Kollektiv fand sich nach einem ersten Aufruf Ende September letzten Jahres. Seither haben wir immer wieder grössere Treffen an jedem dritten Freitag durchgeführt. Das Kollektiv versteht sich als Zusammenschluss verschiedener Menschen mit verschiedenen Lebensrealitäten aus dem linksautonomen Kontext. Wir verstehen uns als politische, selbstorganisierte und selbstbestimmte Gruppe. Im Hinblick auf das Festival treffen sich auch viele kleinere Gruppen unabhängig davon. Eine queere Black- und «People of Color»-Gruppe ist dadurch zum Beispiel entstanden. Es haben sich auch queerfeministische Aktivitäten daraus ergeben. Wir versuchen, Räume für queere Menschen zu schaffen, beispielsweise Diskussionsrunden, Küfas (Küchen für Alle) oder Bars, die auch einen politischen Anspruch haben.
Mika: Die Gruppe wird sicher etwas sein, das über das Festival hinaus bestehen wird. Die Pride war ein guter Moment, um sich zu finden. Aber es haben sich sicher auch andere Interessengebiete herauskristallisiert, bei denen es nicht nur um das Festival geht. Wir wünschen uns eine Bewegung, die Diskriminierungen jeglicher Art bekämpft, sowohl innerhalb der Bewegung, aber auch gegen aussen. Wir wünschen uns eine Bewegung, die sich klar und laut gegen diskriminierende Parteien und Gruppierungen positioniert, eigene Privilegien hinterfragt und solidarisch kämpft, statt individualistisch feiert.
Ihr nennt euch Eyduso. Woher kommt der Name?
Mika: Der Namensfindungsprozess war etwas schwierig. Der Name ist aus einem Witz hervorgekommen und ob er nun definitiv für immer so sein wird, ist fraglich. Es geht uns nicht darum, ein Label zu schaffen. An einer Sitzung haben wir mit Buchstaben gespielt und zufällig ist dann Eyduso rausgekommen. Es hat keinen tieferen Sinn.
Gibt es Grundsätze in eurem Kollektiv?
Andrew: Unser erster Aufruf richtete sich deutlich an Menschen, welche sich in der polizeifreundlichen, homonormativen, rassistischen und kommerziellen Pride nicht vertreten fühlen. Dadurch fühlten wir uns alle angesprochen. Für mich war es wichtig, einen Ort zu schaffen, wo ich meine Position über Rassismus, über Polizei und Racial Profiling, nicht verteidigen muss, wo ich den Leuten vertrauen kann in der Gruppe, dass sie hinter mir stehen.
Mika: Die Hoffnung ist auch, innerhalb der Gruppe einen Ort ohne strukturelle Gewalt und Hierarchien zu schaffen. Für viele Leute, die schon aus anderen Zusammenhängen sensibilisiert sind, ist es klar, einen respektvollen Umgang zu haben, sich zuzuhören, allen Raum zu geben. Das ist ein nicht ausgesprochener Konsens. Nur schon durch das Queersein sind wir betroffen von struktureller Gewalt und wir versuchen deshalb, untereinander einen respektvollen Umgang zu haben und sensibel zu sein.
Welche Veranstaltungen habt ihr für euer Festival geplant?
Andrew: Es gibt eine Workshop-Woche, an dem jeden Tag etwas läuft. Am 9. Juni wird beispielsweise eine queerfeministische Gruppe aus Spanien einen Vortrag über Abtreibungen und reproduktive Freiheiten halten. Es wird auch eine Diskussion über Prep, die medikamentöse HIV-Prävention, in der Schweiz durchgeführt. Es gibt zwei Ausstellungen, einmal über die Geschichte des Christopher Street Day, Stonewall und wie alles angefangen hat. Der Bogen wird gespannt zur rechtlichen Lage, die momentan auf der Welt besteht für LGBT+-Menschen. Dabei werden wir es nicht darstellen als einen Gegensatz zwischen uns, den Guten im Westen, versus den bösen Anderen, zum Beispiel den islamischen Ländern. Wir wollen die Ursachen zeigen, wieso das noch so ist in den verschiedenen Ländern und wieso es diese LGBT+-feindlichen Gesetze noch gibt. Diese sind oftmals noch Kolonialgesetze, die von den EuropäerInnen eingeführt worden sind. Es wird zudem auch mehrere Filmvorführungen mit queerem Kontext geben.
Wie kann man bei euch aktiv werden? Woran kann man sich beteiligen?
Andrew: Die Hauptsitzung von Eyduso jeden dritten Freitag im Monat ist relativ offen gestaltet, man kann einfach mal hingehen und sich vorstellen. Auch unsere Küfas sind Begegnungsräume. Wir haben einen Newsletter, falls man Infos haben möchte. Jetzt gibt es auch einen Blog, wo alle Infos drauf sind.
Mika: Auch das Festival wird eine Plattform sein, um sich weiter zu vernetzen.